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7. IV-Revision

Die Änderungen
im Überblick


Mit der «Weiterentwicklung IV», die am 1. Januar 2022 in Kraft tritt, werden die Eingliederungsbemühungen noch verstärkt und das System der Invalidenversicherung verbessert. Der Fokus liegt insbesondere bei der gezielteren Unterstützung von Jugendlichen beim Übergang ins Berufsleben und bei der Ausweitung der Beratung und Begleitung von Personen mit psychischen Beeinträchtigungen. Eine engere Begleitung von gesundheitlich beeinträchtigten Kindern und Familien, die Einführung eines stufenlosen Rentensystems und die Verbesserung der Qualität und Transparenz bei der Durchführung von Gutachten sind weitere wichtige Anpassungen.


Jugendliche noch früher und besser unterstützen

Beitrag von Doris Aebi, 7. Dezember 2021

 

Die beiden letzten IV-Revisionen haben gezeigt, dass die IV mit verstärkten Eingliederungsmassnahmen und insbesondere mit einer intensiveren Zusammenarbeit mit Akteuren wie die Arbeitgeber sowie Ärztinnen und Ärzten auf dem richtigen Weg ist. Mit den entsprechenden Massnahmen gelang es, dass vermehrt Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihren bestehenden Arbeitsplatz behalten konnten oder sie auf eine neue Tätigkeit vorzubereiten. Die Neurenten gingen insbesondere bei erwachsenen Personen zurück. Bei Jugendlichen aber blieb die Anzahl Neurenten in den letzten Jahren konstant. Mit neuen Massnahmen soll verhindert werden, dass Jugendliche zu früh eine IV-Rente erhalten.

Frühzeitiges Erfassen sicherstellen
Mit einer frühzeitigen Erkennung, welche Jugendliche verstärkt Unterstützung benötigen und einer gezielten Vorbereitung auf die erstmalige berufliche Ausbildung soll der Eingliederungserfolg bei Jugendlichen verbessert werden.

  • Neu können Kinder ab 13 Jahren von Eltern, Ärztinnen und Ärzten, dem Case Management Berufsbildung CMBB usw. der IV-Stelle gemeldet werden.
  • Verstärkte Zusammenarbeit mit kantonale Stellen wie z.B. dem Case Management Berufsbildung CMBB.
  • Brückenangebote (Angebote, die der schulischen und persönlichen Reifung oder der Berufswahl dienen) können von der IV mitfinanziert werden, sofern die Angebote verstärkt auf Jugendliche mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgerichtet werden.

Vorbereitung auf eine erstmalige berufliche Ausbildung
Vorbereitende Massnahmen führen Jugendliche zwischen 13 und 25 Jahren an eine erstmalige berufliche Ausbildung heran.

  • Integrationsmassnahmen für Jugendliche haben zum Ziel, die Präsenz- und Leistungsfähigkeit nach der obligatorischen Schule zu fördern
  • Unterstützung bei der Berufswahl nach Abschluss der obligatorischen Schule: Durchführung vorbereitender Massnahmen wie z.B. Praktika im ersten Arbeitsmarkt, um die Eignung zu überprüfen.
  • Gezielte Vorbereitung auf eine bestimmte Ausbildung, falls die notwendigen Fähigkeiten noch nicht ausreichend vorhanden sind.
  • Medizinische Eingliederungsmassnahmen (z.B. Psychotherapie usw.) können bis zum 25. Altersjahr verlängert werden.

Die erstmalige berufliche Ausbildung erfolgt soweit wie möglich im ersten Arbeitsmarkt. Eine Rente kann nur gewährt werden, wenn alle Eingliederungsmassnahmen ausgeschöpft sind.

Neues Taggeldmodell bei der Erstausbildung
Die Taggelder, die die IV ausrichtet, sollen sich stärker den Verhältnissen der freien Wirtschaft annähern. So gibt es insbesondere Änderungen beim Taggeld während der erstmaligen beruflichen Ausbildung. Heute kann es vorkommen, dass das Taggeld das spätere Gehalt übersteigt. Diese Benachteiligung von Lernenden ohne Unterstützung durch die IV wird nun mit einem neuen Taggeldmodell korrigiert.


Ausweitung der Massnahmen für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen

Die Erfahrung zeigt, dass Menschen mit psychischen Beeinträchtigung mehr Zeit und Unterstützung benötigen, damit sie im Arbeitsleben verbleiben und Eingliederungsmassnahmen erfolgreich abschliessen können. Die Neurenten bei Menschen mit psychischen Erkrankungen nahmen in den letzten Jahren laufend zu. Damit diese Entwicklung gestoppt werden kann, wurden bestehende Massnahmen ausgebaut und neue Massnahmen bestimmt. Nachfolgend die wichtigsten Änderungen:

  • Früherfassung früher möglich
    Bisher konnte eine Meldung erst nach einer Arbeitsunfähigkeit von 30 Tagen vorgenommen werden. Neu ist eine Meldung bereits bei drohender Arbeitsunfähigkeit möglich. Dabei soll verhindert werden, dass wertvolle Zeit ungenutzt verstreicht und die versicherten Personen bei der IV rasch angemeldet werden können. Meldeberechtigt sind neben der versicherten Person auch Arbeitgeber, Versicherer, Sozialdienste usw.
  • Verzicht auf zeitliche Begrenzung der Integrationsmassnahmen "einmal im Leben"
    Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung können neu unter bestimmten Voraussetzungen mehrmals zugesprochen werden. Bei den Massnahmen zur sozialberuflichen Rehabilitation wird unterschieden zwischen Aufbautraining, bei dem eine Leistungsfähigkeit von 50 Prozent erreicht werden soll und dem Arbeitstraining, das im ersten Arbeitsmarkt stattfindet und zur weiteren Steigerung der Arbeitsfähigkeit dient.
  • Ausbau der Beratung und Begleitung
    Versicherte Personen und ihre Arbeitgeber haben Anspruch auf Beratung und Begleitung während der Eingliederungsmassnahmen. Neu können sie diese Leistung bis zu drei Jahre nach Beendigung der letzten Massnahme in Anspruch nehmen. Damit kann die IV bei auftauchenden Problemen rasch und unkompliziert handeln.

Neudefinition des Begriffs Geburtsgebrechen

Die Kosten für medizinische Massnahmen haben sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Die Liste der anerkannten Geburtsgebrechen, bei denen die IV die Kosten für die medizinischen Massnahmen übernimmt, wurde überarbeitet und auf den neusten Stand gebracht. Geburtsgebrechen müssen neu

  • fachärztlich diagnostiziert
  • invalidisierend
  • einen bestimmten Schweregrad aufweisen
  • langdauernde oder komplexe Behandlung erfordern
  • mit medizinischen Massnahmen behandelbar sein.

Aufgrund dieser Definition sind bisher nicht enthaltene Erkrankungen auf der Liste neu aufgeführt. Im Gegenzug sind einige Geburtsgebrechen, die dank des medizinischen Fortschritts heute leichter zu behandeln sind, von der Liste gestrichen worden. Diese werden in Zukunft von der Krankenversicherung übernommen.

Bei schweren Geburtsgebrechen können die IV-Stellen neu eine enge Begleitung (Case Management) anbieten und somit die Koordination der medizinischen Behandlungen mit anderen Leistungen verbessern wie auch eine engere Zusammenarbeit mit der behandelnden Ärzteschaft gewährleisten.


Einführung eines stufenlosen Rentensystems

Die Bemessung des Invaliditätsgrades erfolgt bei Erwerbstätigen durch einen Einkommensvergleich. Das heisst, der Lohn, der jemand bei guter Gesundheit verdienen kann, wird mit dem zumutbaren Lohn unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Probleme und unter Annahme eines ausgeglichenen Arbeitsmarktes verglichen. Die Erwerbseinbusse in Prozent ist der IV-Grad.

  • Berechnung Invaliditätsgrad
  • Eine IV-Rente gibt es erst ab einem IV-Grad von 40% und mehr. Ab einem IV-Grad von 70% erhalten die versicherten Personen eine ganze Rente. Die Rentenhöhe berechnete sich bis heute über Stufen: Bei einem IV-Grad von 40% - 50% gab es eine Viertels-Rente, bei einem IV-Grad von 50% - 60% eine halbe Rente und bei einem IV-Grad von 60% - 70% eine Dreiviertels-Rente. Diese Abstufungen führen dazu, dass jemand aufgrund des Schwelleneffekts bei einer Aufnahme einer Tätigkeit und eines dadurch tieferen IV-Grades plötzlich weniger verdient, als vorher mit einer Rente. Damit eine Arbeit sich lohnt und der Anreiz steigt, eine Tätigkeit anzunehmen, werden Neurenten ab dem 1. Januar 2022 nach dem genauen IV-Grad berechnet. Bei einem IV-Grad von 50% - 69% entspricht der IV-Grad dem Rentenanspruch. Bei einem IV-Grad von 40% bis 49% gibt es Abstufungen gemäss nachfolgender Tabelle:

    Quelle: BSV

    Laufende IV-Renten bleiben nach der alten Berechnung bestehen. Sie werden erst nach dem neuen System berechnet, wenn bei einer Revision der Invaliditätsgrad um mindestens fünf Prozentpunkte ändert und die versicherte Person bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung noch nicht 55-jährig war. Die Renten von Versicherten unter 30 Jahren werden spätestens innerhalb von zehn Jahren ins stufenlose Rentensystem überführt.


    Mehr Transparenz bei Gutachten

    Die IV gibt Gutachten in Auftrag bei sehr komplexen medizinischen Verhältnissen, wenn die Aktenlage nicht klar ist und wenn der Regionale Ärztliche Dienst die Untersuchungen nicht selber durchführen kann. Kritik an der Objektivität der Gutachterstellen führten bereits vor Jahren dazu, dass die polydisziplinären Gutachten nach dem Zufallsprinzip über eine schweizweite Online-Plattform vergeben werden. Neu werden in Zukunft auch die bidisziplinären Gutachten von den IV-Stellen über diese Plattform in Auftrag gegeben. Die Transparenz erhöhen soll zudem eine auf der Website veröffentlichte Liste, die die jeweiligen Sachverständigen, mit denen die IV-Stelle bei monodisziplinären Gutachten arbeitet, die Anzahl Gutachten sowie weitere Informationen zu den Gutachtensaufträgen aufführt. Zudem werden ab dem 1. Januar 2022 alle Interviews zwischen den Sachverständigen und der versicherten Person mittels Tonaufnahme erfasst und im IV-Dossier aufbewahrt.

  • Merkblatt Weiterentwicklung der IV: Neuerungen
  • Informationsveranstaltung zur Weiterentwicklung IV vom 11. Januar 2022