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Erfolgsgeschichte

Mit Beharrlichkeit und Unterstützung
zurück in die Arbeitswelt


Sicherheit, Solidarität und Eigenverantwortung bedingen sich gegenseitig. Damit Menschen eigenverantwortlich und solidarisch für die Gemeinschaft handeln können, braucht es aber auch deren Befähigung dazu – gerade nach einer Phase der Arbeitsunfähigkeit. Wir haben bei Frau Katharina Breuer (Versicherte) und Frau Fumi Gruner (Fachperson Berufliche Integration, Band-Genossenschaft) nachgefragt, was eine erfolgreiche Eingliederung ausmacht.

Interview von Martina Tschan, 10. März 2021

Liebe Frau Breuer, Sie sind vor einigen Jahren an einer schweren Depression erkrankt und waren zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Sie haben eine intensive Genesungs- und Wiedereingliederungszeit hinter sich. Im letzten Jahr kam auch noch Corona als erschwerender Faktor dazu. Wie geht es Ihnen heute?

K. Breuer: Ich fühle mich gesundheitlich gut und ich hatte viele neue positive Erlebnisse: Ein Arbeitgeber, der mir eine Chance gab, es «draussen», im normalen Arbeitsmarkt, wieder zu versuchen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gesagt haben «komm, das probieren wir doch», Teamkolleginnen und -kollegen und Vorgesetzte, die mich eingearbeitet haben, obwohl sie eine hohe Arbeitsauslastung hatten und nicht wussten, ob der Arbeitsversuch erfolgreich verlaufen würde.

Aufgrund der Pandemie-Situation fehlten mir (wie vielen anderen Menschen auch) vor allem die sozialen Kontakte. Am Arbeitsplatz kamen zusätzlich eine Reorganisation, neue Vorgesetzte und Homeoffice dazu. Auch meine persönliche Stabilität beschäftigt mich weiterhin. So muss ich weiterhin an meinen zu hohen Ansprüchen an mich selbst arbeiten und stets aufs Neue die Prioritäten richtig setzen und eine gute Balance finden.

Wie und mit wem haben Sie diese Herausforderungen gemeistert?

K. Breuer: Die beruflichen Herausforderungen in erster Linie mit meinen Teamkolleginnen und -kollegen und meinen Vorgesetzten. Die persönlichen mit meiner Psychotherapeutin und mit Frau Gruner, meinem Job-Coach. Und vor allem auch mit mir selbst, mit dem Vertrauen in mich. Letzteres hatte ich früher nicht so. Ich versuchte, die alten Muster durchs «immer wieder neu versuchen» zu durchbrechen. Das konnte ich nur dank dem in der Therapie und in der Wiedereingliederung Gelernten. Vorher bin ich an solchen Punkten verzweifelt. Es ging von Mal zu Mal besser und ich konnte die Realität wieder erkennen. Früher hatte ich oft einen verzerrten Blick auf die Umwelt, wie durch eine falsche Brille.

Erfolgsduo Katharina Breuer (wiss. Mitarbeiterin Recht & Planung, Amt für Wald und Naturgefahren) und Fumi Gruner (Fachperson Berufliche Integration, Band-Genossenschaft)

Wie hat Sie die IV auf Ihrem Weg unterstützt, welche Rolle hat sie eingenommen?

K. Breuer: Die IV gab mir eine gute Basis, um neu zu starten. Bei ihr liefen alle Fäden zusammen. Es tat gut, in der schwierigen Krankheitssituation die solidarische Unterstützung der IV zu erfahren. Für Familie und Freunde ist so eine Situation nicht immer leicht zu verstehen und dadurch ist die Akzeptanz und das Verständnis nicht immer gleich. Mir war immer klar, dass die IV mir ein Angebot macht und es an mir liegt, dieses zu nutzen, um aus der unguten Lage herauszukommen.

Nicht nur im Zusammenhang mit einer Pandemie, sondern auch für jeden einzelnen sind «Sicherheit, Solidarität, Eigenverantwortung und die Befähigung dazu» zentral. Wie beurteilen Sie dies in Bezug auf Ihre/diese Wiedereingliederung?

K. Breuer: Ohne die Solidarität meines Umfeldes und der involvierten Fachpersonen und meinem eigenen Dazutun, wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin. Es gab Zeiten, da hatte ich das Gefühl, jede Sicherheit verloren zu haben. Aber jetzt ist sie wieder zurück. Einen Rahmen zu haben, in dem ich es neu und anders wagen kann, gab mir mein Selbstvertrauen zurück.

F. Gruner: Der Coach sollte der versicherten Person die Gewissheit vermitteln können, dass es sich lohnt, den (auch steinigen) Weg unbedingt in Angriff zu nehmen. Am Sicherheitsgefühl muss stetig gearbeitet und eine Perspektive entwickelt werden. In der Funktion des Coaches ist die Solidarität im Sinne von Empathie, Wertschätzung und Förderung/Befähigung der versicherten Person eine Voraussetzung. Jedoch immer im Rahmen der Verantwortung, die die Funktion mit sich bringt und stets mit dem Fokus auf die berufliche Perspektive, bzw. Integration in den Arbeitsmarkt, wie auch entsprechend den Möglichkeiten der Versicherten. Es ist nicht alles erzwingbar und es gibt keine Garantie dafür, dass alles gut kommt. Die Rolle des Coaches ist es, die versicherte Person so weit möglich zur Selbstaktivierung zu befähigen und zu fördern. Die Eigenverantwortung liegt somit bei beiden. Die versicherte Person ist jedoch klar in der Verantwortung, den Weg zu gehen und das Ziel, welches sie anstrebt, zu erreichen. Sie ist eigenverantwortlich für ihr «Glück». Der Coach steht unterstützend und befähigend zur Seite.

«Die Befähigung ist ein starkes Werkzeug, mit dem ich persönlich viel bewegt habe, bewege und auch weiterhin bewegen werde.»

Katharina Breuer, Versicherte

Was war besonders wertvoll und wo sind Sie auf Hindernisse gestossen?

K. Breuer: Frau Gruner konnte mir die Realität aufzeigen, was mir mehr und mehr die Sicherheit wieder zurückgab. Aus meiner Sicht sah die Welt sehr anders aus, als sie es tatsächlich war. Es war entscheidend, eine neue Sichtweise zu erkennen und umzusetzen. Die Tipps zur Bewältigung des (Arbeits-)Alltags waren sehr wertvoll. Ich war wieder «draussen im richtigen Leben». Das machte Angst und verunsicherte, da es «wieder drauf ankam» und ich nicht mehr den geschützten Testrahmen wie bisher hatte. Ich wusste, dass ich in Frau Gruner eine verlässliche Stütze habe, die meine Lage versteht. Besonders wertvoll waren auch Ihre Hartnäckigkeit im Zureden, es mit dem nächsten «Übungsfeld» doch auch wieder zu versuchen. Die regelmässigen Treffen gaben mir in Zeiten starker Unsicherheit und Veränderung einen festen Rahmen. Sie halfen mir, wieder Eigenverantwortung zu übernehmen. Es gibt Momente, da hat man als Betroffene das Gefühl, nichts leisten zu können, zu versagen. Man kämpft mit Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen. Aber man lernt, in kleinen Schritten voranzugehen und das «Grosse» in kleinen Happen zu wagen. Und so auch manches erreicht, was zunächst unmöglich erschien.

F. Gruner: Wir pflegten von Anfang an einen respekt-, vertrauens- und verständnisvollen Umgang miteinander und kommunizierten immer klar und ehrlich. Es war schön, die Entwicklung mitverfolgen und miterleben zu dürfen. Zu sehen, wie sehr sich Frau Breuer für sich und ihre Zukunft engagierte und ihren starken Willen trotz Rückschlägen nie verlor und ihre persönliche Wiedereingliederungsgeschichte mit einem Happy End endete.

Was denken Sie, welches sind die entscheidenden Faktoren, die zur Erfolgsgeschichte beigetragen haben?

K. Breuer: Ein gewisses Mass an eigener Beharrlichkeit, die eigene Einstellung («ich versuche es irgendwie») und die Offenheit, manchmal auch eigenartig wirkende Settings mitzumachen, helfen. Vom Prozess her war es wertvoll, in der Frühinterventionsphase und in der Wiedereingliederung einen geschützten Rahmen gehabt zu haben. Dort konnte ich das ungewohnte neue Verhalten wagen und ausprobieren. Gerade die niederschwelligen Arbeiten bieten die Zeit und die Möglichkeit, sich selbst zu beobachten und daraus seine Schlüsse zu ziehen, die man mit dem Job-Coach besprechen kann. Im Arbeitsversuch ist man dann schon so geübt, dass man sich, zurück «im richtigen Leben», weiter beobachten, die Problemfelder besser erkennen und andere Wege als bisher einschlagen kann. Hier hilft besonders die weitere Begleitung durch den Job-Coach, der einen ja schon sehr gut kennt und mit dem man zusammen die aktuellen Herausforderungen bewältigen lernt. Das Wohlwollen, die guten Fachkenntnisse der Unterstützenden und natürlich die Chance, die mir das AWN (Amt für Wald und Naturgefahren) geboten hat, haben mich sehr unterstützt.

F. Gruner: Die lösungsorientierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit (IV, Institution, Klientin, Therapeutin, Arbeitgeber) und dass wir gemeinsam das gleiche Ziel verfolgt haben: die Reintegration in den Arbeitsmarkt. Die Unterstützung durch die IV war sehr wichtig, aber matchentscheidend war nebst dem Willen von Frau Breuer schliesslich vor allem der Arbeitgeber, der einen Arbeitsplatz anbot. Anfangs lag die Priorität darauf, Frau Breuer zuzuhören, ihr die Zeit zu lassen, uns ihre Geschichte zu erzählen. Im Laufe des Prozesses ging es darum, Themen mit ihr zu priorisieren sowie den Fokus auf die beruflichen Aufgaben und den Eingliederungsprozess zu richten. Es schien wichtig, Frau Breuer in ihrem Engagement zu bestärken, ihre Ressourcen sichtbar zu machen, alte Verhaltensmuster zu spiegeln und nach und nach Vertrauen aufzubauen. Der Einbezug des Netzwerks und ein regelmässiger Austausch mit der therapeutischen Begleitperson waren in diesem Prozess sehr wertvoll.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft – persönlich, im Beruf, von der Gesellschaft?

K. Breuer: Persönlich wünsche ich mir, dass ich weiter so meinen Weg gehen kann und noch vieles über mich lernen darf. Beruflich wünsche ich mir, dass ich an einem Ort, wo es geschätzt wird und in einem Team, das gut zusammenarbeitet, gute Arbeit leisten kann. Schön wäre, wenn mehr Arbeitgeber den Versuch wagen würden und jemandem, der vielleicht nicht auf den ersten Blick ein Traumkandidat ist, eine Chance bieten. Dass jemand Vertrauen in einen setzt, kann sehr aufbauend wirken. Das sollte man nicht unterschätzen und kann auch für den Arbeitgeber ein grosser Gewinn sein.

F. Gruner: Ich wünsche mir mehr Solidarität, Verständnis und Mitgefühl für die ganz persönlichen Geschichten von Menschen. Dass auch ein nicht geradliniger beruflicher Weg ein erfolgreicher Weg sein kann. Mehr Vertrauen, Flexibilität und Verantwortungsübernahme von Arbeitgebern, Personen mit einer Einschränkung oder einer Lücke im Lebenslauf eine Chance zu geben. Diese Menschen bringen andere Kompetenzen mit als die «normalen» Leute. Die Bereitschaft einen Mehraufwand einzugehen und zu merken, dass auch sie davon viel Wertvolles mitnehmen können.


Persönliche Tipps für Betroffene

  • Sich Notizen machen. Die Hefte, die ich über die Zeit vollgeschrieben habe, waren immer wieder hilfreich. Ich konnte nachsehen, was mir geholfen hat, was ich jetzt machen könnte. Es zeigt einem den Weg, den man schon hinter sich hat. Das finde ich besonders gut, da man ja gern mal den Eindruck hat, dass sich noch nicht viel verbessert oder verändert hat.
  • Es versuchen, auch wenn es einem scheint, dass es unmöglich besser werden kann. Ich habe auch erst spät im Prozess wieder das Gefühl gehabt, dass es möglich sein wird, wieder «normal» zu arbeiten.
  • Versuchen offen zu sein, für das, was auf einem zukommt. Nicht zu weit vorausschauen, es verändert sich so viel, dass man sich besser mit den nächsten Wochen als den berühmten nächsten 5 Jahren beschäftigt. Es ist gut, einen Plan zu haben. Aber man sollte sich auch nicht zu sehr auf etwas fixieren. Manchmal öffnen sich unerwartete Türen!
  • Für sich klären, was man allenfalls selbst zur schwierigen Situation beigetragen hat. Zu erkennen, woran man sozusagen «selber schuld» ist und somit auch etwas «selbst» anders machen kann, ist ein Schlüssel zur Veränderung. Sind nur alle anderen schuld an der Situation, ist man ein hilfloses Opfer, dass selbst nichts ausrichten kann. Die Frage ist weder angenehm noch leicht zu beantworten, aber sie ist es wert, sie sich zu stellen.

Katharina Breuer

«Ein Umweg kann sehr bereichernd sein, nicht nur persönlich. Auch ein Arbeitgeber profitiert davon, Mitarbeitende zu beschäftigen, die nicht nur geradlinige Lebensläufe vorweisen.»

Fumi Gruner | Fachperson Berufliche Integration, Band-Genossenschaft

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